Perspektive

Perspektive

Im Bereich der Perspektive finden wir viele verwirrende Begriffe und Aussagen. Dabei ist alles ganz einfach. Perspektive entsteht als Resultat der Projektion einer realen Fotoszene auf Film oder Sensor. Die Perspektive ist das zweidimensionale Abbild einer dreidimensionalen Realität. Bei dem Projektionsverfahren der gewöhnlichen Kameras handelt es sich um eine klassische Zentralprojektion. Auch das menschliche Auge benutzt diese Projektion als Basis des Wahrnehmungsvorgangs. Wenn wir ein Auge auf einen Punkt des Motivs konzentrieren und das Auge nicht bewegen, erhalten wir fast dasselbe Abbild auf der Netzhaut wie das Abbild der Kamera aus gleicher Position auf dem Sensor. Allerdings sehen wir die Randbereiche unscharf. Betrachten wir ein Foto, erzeugt das Auge ein Abbild des Fotos auf der Netzhaut, welches sich nur wenig von dem Abbild der direkt gesehenen Realität unterscheidet. Jedoch entsteht das Wahrnehmungsabbild aus einer Reihe von durch Augenbewegungen hervorgerufenen Einzelbildern und wird außerdem noch in gewissen Grenzen vom Gehirn korrigiert. Aber das geht dann in den Bereich Wahrnehmungspsychologie und kann bei der Betrachtung der Perspektive zunächst einmal weggelassen werden. Die perspektivische Projektion ist jedenfalls Grundlage für die realistische räumliche Wirkung der Fotografie. Daher sind die Eigenschaften der Zentralprojektion für die Bildgestaltung von großer Bedeutung. Egal worauf wir die Kamera richten, welchen Standpunkt wir dabei einnehmen, oder welches Objektiv wir verwenden, immer erhalten wir ein korrektes perspektivisches Abbild nach den Regeln der Zentralprojektion. Im Gegensatz zu einem Zeichner brauchen wir die Perspektive glücklicherweise nicht zu konstruieren. Sie wird von der Kamera automatisch erzeugt.

Ausgangspunkt ist immer eine gewünschte Fotoszene, die unseren Sucherbereich ausfüllt. Es soll nicht mehr oder weniger aufs Foto kommen. Durch Variationen von Entfernung und Richtung ergeben sich dann eine Vielzahl von recht unterschiedlich wirkenden perspektivischen Abbildungen ein und derselben Szene. Erleichtert wird das Auffinden der besten Perspektive, wenn Sie einige Grundeigenschaften der Zentralprojektion kennen. Sie sind dann flexibler und wissen schon im Voraus, welche Wirkungen es haben wird, wenn Sie näher herangehen mit Weitwinkelobjektiv oder weiter weggehen und ein Teleobjektiv verwenden. Auch werden Sie schneller herausfinden, welche Aufnahmerichtung am günstigsten ist.

Die Zentralprojektion – Merkmale

Abbildung: Grundschema der Projektion. Letztlich kann man alle Fragen zur Perspektive beantworten, wenn man Millimeterpapier und Lineal zur Hand hat. Man kann hier unmittelbar erkennen, wie Brennweite, Bildwinkel und Sensorgröße zusammenhängen. Verschiebt man das Projektionszentrum so, dass die Brennweite kürzer wird, vergrößert sich der Bildwinkel. Der Grund, warum Weitwinkelobjektive kurze Brennweiten haben. Verkleinert man den Sensor, wird der Bildwinkel kleiner. Der Grund, warum Kompaktkameras mit kleinen Sensoren bei gleicher Brennweite einen kleineren Bildwinkel haben und Teleobjektive so kompakt ausfallen.


Schema der klassischen Zentralprojektion:

Objekte in der gleichen Entfernungsebene

Die Entfernungsebene ist eine parallel zu unserem Sensor und senkrecht zur optischen Achse der Kamera liegende Ebene in der Fotoszene. Man kann sich vorstellen, dass eine ganze Schar solcher Entfernungsebenen unsere Fotoszene unterteilt. Objekte, die in der gleichen Entfernungsebene liegen, werden proportional zu ihrer tatsächlichen Größe dargestellt. Gleich große Objekte erscheinen gleich groß, egal ob sie in der Mitte oder am Rand der Fotoszene sind. Das ist schon verblüffend, weil Objekte im Randbereich des Motivs weiter von unserem Standpunkt entfernt liegen. Und wenn wir den Blick darauf richten, auch kleiner erscheinen als ein gleich großes Objekt direkt vor uns in der Mitte der Fotoszene.

Abbildung unten: zwei verschieden große Objekte in der gleichen Entfernungsebene werden proportional im tatsächlichen Größenverhältnis dargestellt.


Objekte in der gleichen Entfernungsebene

Abbildung unten: zwei gleich große Objekte in unterschiedlichen Entfernungsebenen. Das weiter entfernte wird kleiner abgebildet.

Das ist unabhängig von der Brennweite. Gilt also auch bei einem Superweitwinkelobjektiv. Hier eine Testaufnahme von quadratischen und gleich großen Wandkacheln mit einer Brennweite von 12 mm APSC, ca. 18 mm bei Vollformat:

Die verblüffenden in den Randbereichen von Weitwinkelaufnahmen auftretenden perspektivischen Verzerrungen beruhen darauf, dass sich die Objekte über unterschiedliche Entfernungen ausdehnen und sind eine Folge der extremen perspektivischen Verkleinerung. Hier ein Beispiel solcher Verzerrungen:

Das Hinterrad des Rennrads erscheint größer als das Vorderrad. Tatsächlich steht das Rad nicht gerade und das Hinterrad ist etwas näher an der Kamera. Daher wird das Vorderrad stärker verkleinert.

Perspektivische Verkleinerung


Weiter entferntes Objekt wird kleiner dargestellt

Bei großen Objekten, die schräg zur optischen Achse liegen, werden weiter von der Kamera entfernte Teile kleiner dargestellt. Die Verkleinerung schräger Objekte sind auffälligstes Merkmal der Perspektive. Stürzende Linien, Fluchtung, Zusammenrücken von Objektdetails (z.B. Eisenbahnschwellen) rufen den typischen Räumlichkeitseindruck hervor.

Abbildung unten: Objekt schräg zur optischen Achse über verschiedene Entfernungsebenen. Violett = gleich großes Objekt senkrecht zur optischen Achse.

Ein schräges Objekt erscheint kleiner

Der Sehwinkel

Manchmal auch Abbildungswinkel genannt, ist der Winkel, unter dem einzelne Objekte und Objektteile von der Kamera erfasst werden. Nicht zu verwechseln mit dem durch das Objektiv gegebenen Bildwinkel. Der Sehwinkel ergibt sich aus der Objektentfernung und der Lage der optischen Achse zum Objekt.
Abbildung unten: der Sehwinkel wird mit größerer Entfernung kleiner. Aufnahmen aus der Nähe zeigen daher mehr vom Motiv.


Unterschiedliche Seh- oder Abbildungswinkel

Der Sehwinkel ist der wichtigste Faktor der räumlichen Darstellung. Er entscheidet darüber, welche Flächen eines Objekts überhaupt abgebildet werden. Das obige Beispiel zeigt die Abhängigkeit des Sehwinkels von der Entfernung. Aber auch die Richtung der optischen Achse spielt eine große Rolle. Von einem kubischen Objekt, z. B. einem Wohnblock, können maximal drei Flächen gezeigt werden. Stehe ich auf Bodenhöhe, habe ich keinen Sehwinkel für die Dachfläche. Über Eck bekomme ich zwei Flächen. Direkt frontal und mittig nur eine Fläche, weil ich die Seitenflächen nicht sehe. Außer ich bewege mich seitwärts über die Gebäudeecke hinaus, so dass das Gebäude seitlich von mir steht. Für maximale Räumlichkeitswirkung bräuchte ich einen Standpunkt oberhalb der Höhe des Wohnblocks oder eine Fotodrohne. Aber räumliche Darstellung ist auch bei kleineren, von oben fotografierbaren Motiv-Szenen wichtig. Beispielsweise bei Stillleben. Denn die Proportionalität, Natürlichkeit oder perspektivische Dynamik der Objekte wird durch Entfernung und Richtung bestimmt. Und der normalerweise nicht erwähnte Seh- oder Abbildungswinkel spielt dabei eine zentrale Rolle. Daraus ergibt sich auch etwas für die Praxis:

Tipp: Nutzen Sie jede Gelegenheit, um von oben zu fotografieren. Das ergibt verblüffende Räumlichkeitseffekte.

Ein speziell aufgebautes Beispiel:

Um das Ganze etwas zu konkretisieren hier ein Allround-Praxisbeispiel. Vor vielen Jahren hatte ich einmal in einem improvisierten Fotostudio einen Perspektive-Versuch aufgebaut. (Die besseren Originalfotos kommen beim nächsten Update). Vier kleine Modellautos auf einem quadratisch linierten Karton. Die optische Achse zielt genau auf die Mitte des Kartons. Sie hat in beiden Fotos einen Winkel von 20 Grad zur Standfläche der Autos. Das oben Gesagte wird an diesem Beispiel noch einmal verifiziert:

Gleiche Richtung – unterschiedliche Entfernungen

Gleiche Entfernungsebene

Gleich große Objekte in der gleichen Entfernungsebene werden gleich groß abgebildet. Man kann das an beiden Fotos sehen. Stärker bei der Weitwinkelaufnahme.

Objekte in unterschiedlichen Entfernungsebenen

Die beiden Auto hinten stehen in einer weiter entfernten Ebene und werden kleiner abgebildet als die Autos vorne. Der Effekt ist bei geringer Aufnahmeentfernung (Weitwinkel, rechts) deutlich stärker. Rechts wirkt dynamischer, links kompakter.

Großes Objekt über verschiedene Entfernungsebenen

Die Standfläche der Autos ist ein Objekt, das sich über mehrere Entfernungsebenen ausdehnt. Diese Fläche liegt schräg zur optischen Achse. Man kann an den eingezeichneten Quadraten sehen, dass die Standfläche sich immer mehr verkürzt, je weiter sie weg ist. Bei Weitwinkel ist diese Verkürzung progressiv und stärker. Bei Teleobjektiv bleibt sie für alle Quadrate fast gleich.

Sehwinkel

Vergleichen wir einmal die beiden Fotos. Links nah dran mit Weitwinkelobjektiv. Rechts weit weg mit Teleobjektiv. Die Lage der optischen Achse ist in beiden Fällen genau gleich. Links sehen wir fast nichts von den Seiten der Autos. Rechts dagegen deutlich mehr. Die Sehwinkel auf die Seitenflächen werden eben größer, wenn man näher herangeht. Ein Vorteil der Weitwinkelperspektive.

Teleperspektive

Links sehen wir eine hochgradig proportionale Abbildung.mit einer nur geringen perspektivischen Verkleinerung und Fluchtung. Alle Autos sind trotz unterschiedlicher Entfernungsebenen nahezu gleich groß. Die Quadrate der Standfläche ebenfalls. Wirksam wird hauptsächlich die Verkürzung durch die Abbildungswinkel. Es mag verblüffen, aber die Standfläche ist beim Teleobjektiv links deutlich größer und weniger verkürzt als bei der Weitwinkelaufnahme. Verblüffend deswegen, weil die Teleperspektive oft als flach charakterisiert wird. Dabei hängt die räumliche Wirkung eines Motivs auch von der Richtung bzw. der Lage der optischen Achse ab. Wird die Richtung geschickt gewählt, erzielt man mit langen Brennweiten eine Perspektive, die fast identisch mit der zeichnerischen Parallelperspektive ist. Sie wird besonders gerne von Konstrukteuren und Architekten verwendet und findet sich auch häufig in der Kunst. Gerade wegen der proportionalen und realistischen Räumlichkeit. In der Praxis werden Teleobjektive aus weiterer Distanz zum Motiv eingesetzt. Die Kamera wird in Augenhöhe gehalten. Und je weiter man vom Motiv weggeht, desto kleiner wird dann der Sehwinkel auf die Standfläche des Motivs. Alles scheint auf einer Linie zusammenzurücken. Von einem erhöhten Standpunkt sieht das dann natürlich ganz anders aus.

Weitwinkelperspektive

Rechts eine typische Weitwinkelperspektive. Vorne befindliche Objekte erscheinen vergrößert, hinten stehende extrem verkleinert. Bei Gebäuden erhält man die berüchtigten stürzenden Linien. In der Standebene des Motivs sehen wir z.B. stark zusammenlaufende, fluchtende Geraden, wie wir sie beispielsweise von Bahngleisen oder Straßen kennen.

Ästhetische Wirkungen der Perspektive

Eine Perspektive wirkt in der Regel ordnend im Sinne von Birkhoffs Formel M=O/C
Am stärksten wirkt wohl die Teleperspektive mit ihrer proportionalen und ruhigen Ordnung. Maximum Parallelperspektive. Ebenfalls stark ordnend ist die oft mit Weitwinkel erzielte Zentralperspektive, bei der alle in den Raum führenden Linien in einem gemeinsamen Fluchtpunkt, Nähe der Bildmitte, zusammenlaufen. Ein beliebtes Kompositionsschema in Kunst und Fotografie.

Weniger ordnend sind Fluchtpunktperspektiven mit zwei oder drei Fluchtpunkten. Oder Schrägansichten mit nur einem Fluchtpunkt rechts oder links. Diese wirken eher dynamisch. Hier muss die Ordnung durch geeignete Maßnahmen erhöht werden. Entzerrung, Ausrichten des Horizonts, Ausrichtung an der Geometrie des Bildformats. Diese Perspektiven sind eine Herausforderung für das Geschick des Fotografen.

Sekundärperspektiven

Oft findet man innerhalb der Hauptperspektive noch Nebenperspektiven. Spiegelungen, Fotos innerhalb des Motivausschnitts und Schattenprojektionen können ein Foto oftmals interessanter machen oder aber auch stören.

Perspektive Beispiele:
Zentralperspektive
Abbildung unten: Es gibt einen Hauptfluchtpunkt. Bei der Zentralperspektive in der Nähe der Bildmitte.


Zentralperspektive

Perspektive mit einem Fluchtpunkt seitlich

Abbildung unten: Der Hauptfluchtpunkt liegt seitlich links auf dem Horizont. Typisch für Gebäudeansichten, die man frontal nicht erfassen will oder kann. Gleichzeitig handelt es sich auch um ein dynamisches Gestaltungselement. Frontalansichten sind oft langweilig.

Schrägansicht mit einem Fluchtpunkt links

Perspektive mit zwei Fluchtpunkten

Abbildung unten: Es gibt zwei Hauptfluchtpunkte, die sich auf dem Horizont befinden. Eine beliebte Darstellung von Gebäuden, wenn man aus Standhöhe fotografiert. Man sieht immerhin zwei Seiten und die Räumlichkeit ist deutlich stärker als bei einer Frontalansicht oder einer Schrägansicht mit nur einem Fluchtpunkt.

Fluchtpunktperspektive mit zwei Fluchtpunkten

Sekundärperspektive

Die Einbeziehung von Spiegelungen und Schattenprojektionen macht Fotos praktisch immer besser, interessanter und ästhetischer. Denken Sie an die Spiegelungen in Pfützen, Spiegeln, Fenstern oder anderen reflektierenden Flächen. Und Schatten können neben der Objektmodellierung ein fantastisches Eigenleben entwickeln. Auch fotografierte Fotos oder Gemälde mit jeweils eigenen Perspektiven wirken stark.


Sekundärperspektive Schattenprojektion

Sekundärperspektive Foto im Foto:

Sekundärperspektive durch Spiegel

Nächste Seite

About

Comments are closed.