Visuelle Zeichen – Beispiele

Vorbemerkungen

Ursprünglich wollte ich hier das Werbeplakat eines Zigarettenherstellers analysieren. Ähnlich wie das schon Roland Barthes mit seiner legendären Panzani-Reklame gemacht hat. Denn gerade Werbefotos eignen sich besonders gut. Dort ist alles genau überlegt und auf die Werbeabsicht abgestimmt. Doch leider steht hier eine enge Auslegung des Urheberrechts im Wege. Ich bringe daher normale, von mir selbst angefertigte Fotos als Beispiele. Ein Beispiel genügt allerdings nicht, weil die üblichen Fotos nicht genügend Aspekte abdecken.

Beispiel: Deplatzierte Sitzmöbel


Illegal abgestellter Sperrmüll

Denotation Möbel

Es handelt sich um drei Teile einer Couch-Garnitur, wie man sie in Wohnzimmern findet. Die Sitzfläche eines Teiles ist stark beschädigt.

Konnotation Möbel

Komfortabel, gemütlich, Wohnkultur oder was immer man darunter so versteht.

Denotation Aufstellungsort

Eine öffentliche Fußgängerpassage. Kenntlich an Papierkorb und massiven Stahlgeländern. Steinplatten wohin man schaut. Kein Platz für die Ablagerung von Möbeln. In Frankfurt kann man jederzeit einen sogenannten Sperrmülltermin vereinbaren, an dem vor das Haus gestellte Möbel kostenlos abgeholt werden.

Konnotation Aufstellungsort

Ungemütlich. Kein Ort, um sich lange aufzuhalten. Kalt. Hart. Zweckmäßig. Einsam. Bei Nacht unheimlich.

Paradigmen

Sitzmöbel. Auch andere wären denkbar gewesen. Stühle, vergammelte kaputte Sessel oder zusätzlich Müll und Abfall. Die Umgebung ist typisch für moderne Bahnhöfe und öffentliche Passagen. Steinplatten, Stahlgeländer, kalte Farben, hartes Material. Als Fotograf hat man die Entscheidung, ob man so etwas überhaupt fotografieren soll. Man kann die Situation nicht großartig beeinflussen. Höchstens noch etwas dazu stellen, wenn sich in der Nähe etwas Passendes findet.

Syntagma

Hier konnte ich ein bisschen eingreifen. Ich habe die wild herumliegenden Sessel zur Wand getragen und ordentlich hingestellt. Das Licht war ideal. Vom Eingangsbereich her kommendes mildes Gegenlicht, welches die Objekte schön modellierte. Die Farben schon im Original Ton in Ton. In Lightroom habe ich nur die Sättigung von Grün leicht angehoben und Rot maximal gesättigt, so dass noch ein Hauch von Rot mit ins Spiel kam. Die Harmonie von Licht und Farben sorgt für eine ästhetische Verbesserung der Foto-Szene. Als Perspektive habe ich eine mäßig lange Brennweite (Porträt-Tele) verwendet, um der Szene eine räumliche Dichte bei einem Minimum an Verzerrung zu geben. Die Beziehung zwischen Sitzgruppe und Umgebung wird durch diese Maßnahmen eng und intensiv.

Die inhaltliche Aussage entsteht durch das skurrile und nicht alltägliche Zusammenspiel von Möbeln und einer Umgebung, wo sie nicht hingehören. Hier waren besonders skrupellose Entrümpler am Werk, weil Sperrmüll in Frankfurt nach Termin kostenlos von der Stadtreinigung abgeholt wird.

Aber es gibt noch eine zweite Bedeutungsebene. Das Sofa sieht selbst in dieser unwirtlichen Umgebung gemütlich aus. Ganz im Gegensatz zu den offiziellen Sitzgelegenheiten an Haltestellen und in Wartebereichen von Bahnhöfen. Die modernen Sitzmöbel aus Stahl sind offensichtlich so konstruiert, dass sie möglichst vor einer Benutzung abschrecken sollen. Auch so ein Trauerspiel. Früher hatte man wenigstens Holzbänke. Insofern transportiert das Foto auch etwas schwarzen Humor. Nicht zuletzt dadurch gerät das Foto beinahe unwirklich und surrealistisch.

Beispiel: Sonnenaufgang am Main

Auch schöne Motive können eine Aussage vermitteln.

Maingold

Denotation

Nebel, Wasser, Spiegelung der Sonne auf der Wasseroberfläche, etwas Uferlandschaft. Objektfarbe Goldgelb.

Konnotation

Stimmung. Sonne mit zahllosen Assoziationen meist positiver Art. Nebel weniger positiv. Etwas unheimlich. Wasser ebenfalls viele Assoziationen. Die Aufzählung könnte viele Seiten füllen. Kilometerstein, Kulturlandschaft. Positiv belegt.
Mit Goldgelb geht die Assoziation in Richtung Gold. Nebel wirkt besonders an Flüssen immer etwas unheimlich. Das Wasser scheint zu kochen.

Paradigma

Das Paradigma, die Liste denkbarer Sonnenaufgänge ist umfangreich. Auch eine Sammlung von romantischem Kitsch. Ich hatte noch die Wahl, die zwischen den Bäumen hervortretende Sonne direkt zu fotografieren und ins Bild zu bringen. Das erschien mir zu gewöhnlich, zumal die Bäume wenig exotisch und eher etwas struppig aussahen. Deswegen habe ich die Sonne indirekt über ihre Spiegelung dargestellt. Aus dem Paradigma der möglichen Witterungen: Bodennebel.

Syntagma

Um die Sonnenspiegelung am weit entfernten gegenüberliegenden Ufer konzentriert ins Bild zu bringen, war eine starke Telebrennweite erforderlich. Die Räumlichkeit hat darunter nicht gelitten, weil ich von einem etwas erhöhten Standpunkt einen günstigen Sehwinkel auf die Wasseroberfläche hatte. Zwischen Wasser und Uferlinie entspricht die Aufteilung ungefähr dem Goldenen Schnitt. Das Licht ist außerdem in eine stabilisierende Diagonale gelegt. Die Einbeziehung des Nebels bewirkt eine Reduzierung unwichtiger Details und erhöht nach der Formel von Birkhoff die Ordnung. Bei klarer Sicht wäre das Foto zu unruhig geworden. Alles in allem entsteht eine konzentrierte und geheimnisvolle bis leicht unheimliche Atmosphäre. Ein Stimmungsbild.

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